SV Wirtschaftsniedergang 4: Deutschland in der Targetfalle mit uneinbringlichen Bundesbankforderungen 1.046 Mrd € - Wirtschaftsanalyse Prof Hans-Werner Sinn

Volker Fuchs 01.10.2025
Zur Geschichte der Erforschung der Target-Salden
Während das Thema von politischer Seite lange beiseite gedrückt wurde, brachte der Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, 2012 seine Sorge über die Target-Forderungen der Bundesbank in einem Brief an den Präsidenten der EZB, Mario Draghi, zum Ausdruck.

Über die Entwicklung und Bedeutung der Target-Salden in der Krise wurde die Öffentlichkeit im Jahr 2011 erstmals von Hans-Werner Sinn informiert.

  • Der formale Nachweis, dass es sich bei den Target-Salden um klassische Zahlungsbilanzsalden im Sinne der Differenz von Leistungs- und Kapitalbilanz handelt, wurde sodann in einem Working Paper (ifo Working PaperCESifo Working Paper (Englisch), International Tax and Public Finance (2012, Englisch), das Sinn im Juni des Jahres 2011 zusammen mit Timo Wollmershäuser schrieb, erbracht, und dort wurde auch der Zusammenhang mit der asymmetrischen Geldpolitik der EZB herausgearbeitet.

Danach entwickelte sich eine umfangreiche Literatur zu der Thematik.
Hans-Werner Sinn hat die Berichterstattung und Erläuterung zu dem Thema in seinen Büchern der letzten Jahre stets aktualisiert, so mit seinem Buch 
Die Target-Falle. Gefahren für unser Geld und unsere Kinder, das 2012 bei Hanser erschien.

  • Den umfassendsten Überblick bietet er  in seinem Buch Der Euro: Vom Friedensprojekt zum Zankapfel , Hanser 2015, das eine Rückübersetzung des 2014 bei Oxford University Press erschienen Buches The Euro Trap. On Bursting Bubbles, Budgets and Beliefs ist.
  • Die neueste umfassende Fach-Pubikation zu dem Thema ist das Buch: Hans-Werner Sinn: The Economics of Target Balances, Palgrave Macmillan, 2020.
  • Dort wird insbesondere auch nachgewiesen, dass die Target-Salden Risiken für die Target-Gläubigerländer bedeuten, wenn Target-Schuldner innerhalb des Eurosystems in Konkurs gehen und, dass sie über das Zinspooling-System der EZB verzinst werden.
  • In seinen Büchern Der Schwarze Juni, Herder 2016, und seiner Autobiographie Auf der Suche nach der Wahrheit, Herder 2018, erläutert Sinn die neue Welle der Target-Forderungen der Bundesbank, die durch die großen Kaufprogramme der EZB seit 2015 angestoßen wurde.
  • Er zeigt, dass diese Programme auf eine gewaltige Umschuldungsaktion hinauslaufen, bei der die Staatsschulden Südeuropas durch bloße Target-Buchschulden beim Eurosystem und indirekt vor allem bei der Deutschen Bundesbank ersetzt wurden.
  • Hans-Werner Sinn Nationalökonomie & Finanzwissenschaft - Ansprüche über eine Billion  Euro die wir aus meiner persönlichen Sicht nie wiedersehen werden
Quelle https://www.hanswernersinn.de/de/themen/TargetSalden



1.) Uneinbringliche Bundesbankforderungen 1.046 Milliarden Euro - Deutschland in der Target Falle

Deutschland hat riesige Ansprüche aus dem Zahlungsverkehrssystem Target der EZB - September 20254 liegt die uneinbringliche Forderung der Bundesbank bei 1.044 Milliarden Euro.

  • In den vergangenen 20 Jahren ist die Bilanz der Bundesbank um den Faktor zwölf gewachsen, von 240 Milliarden Euro Ende 2002 auf 2904 Milliarden Ende vergangenen Jahres.
  • Das entspricht einem Jahreswachstum von 13 Prozent.
  • Überdurchschnittlich wuchsen dabei die sogenannten Target-2-Forderungen im Rahmen des Europäischen Zahlungssystems.
  • Sie stiegen von 310 Mrd im September 2010 auf 1044 Mrd im September  2025 mit dem Faktor 3,4x oder 337%rozent pro Jahr.

Target 2 ist eine Art bei der Europäischen Zentralbank (EZB) geführtes Verrechnungskonto für Forderungen der nationalen Notenbanken des Euro-Raums untereinander aus dem internationalen Handels- und Kapitalverkehr.

  • Wer grenzüberschreitend Geld aus Warenverkäufen oder Wertpapierverkäufen einnimmt, bekommt eine Gutschrift bei der EZB, die Käufer einen negativen Eintrag.
  • Die Notenbanken Italiens, Spaniens, Griechenlands und Frankreichs weisen hohe Target-Schulden aus, während Deutschland, Luxemburg und die Niederlande hohe Forderungen haben.
  • Mittlerweile entsprechen die Target-Salden der Bundesbank fast der Hälfte des Nettoauslandsvermögens Deutschlands und knapp der Hälfte der Aktiva in der Bilanz der Bundesbank.
Target (Transeuropäisches automatisiertes Realzeit-Brutto-Zahlungs-Express-Transfersystem / Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer System)
  • ist der Name eines internen Zahlungsverkehrssystems der EZB, über das die internationalen Zahlungen zwischen Banken in der Euro-Zone abgewickelt werden.
  • Dabei handelt es sich um überbordende Geldüberweisungen vom Süden in den Norden des Euro-Raums.

Target-Salden entstehen, weil die EZB es den Banken und den Kunden in den südlichen Ländern ermöglicht, sich mit immer schlechter werdenden Sicherheiten immer mehr Geld von ihren Notenbanken zu leihen,

  • um damit in den nördlichen Ländern Güter zu kaufen, Schulden zu tilgen oder Investitionen zu tätigen
  • Bei der Deutschen Bundesbank haben sich grenzüberschreitende Forderungen von über einer Billion Euro  (konkret: 1.043.875 Mrd € Stand zum 30. September 2024) gegenüber den Zentralbanken anderer EU-Staaten angehäuft.
  • 2005 lag das Jahresmittel nur bei 10 Milliarden Euro. Grafik unten

Im November 2024 hatten  folgende Länder einen negativen Target2-Saldo, also Verbindlichkeiten gegenüber anderen Zentralbanken:
Zahlen in Mrd Euro gerundet: Österreich -71 Mrd. / Frankreich 1 -77 Mrd / Griechenland -106 Mrd / Italien -428 Mrd / Portugal -58 Mrd / Slovakei - 8 Mrd / Spanien -424 Mrd

In der untenstehenden Tabelle sind die aktuellen EZB-Targetsalden zusammengefasst. (Meldung nur bis Nov. 2024)
Quelle: https://data.ecb.europa.eu/data/data-categories/ecbeurosystem-policy-and-exchange-rates/target-balances-participating-ncbs

„Wenn die Schuldner aber nicht zahlen können, wollen oder müssen, werden Deutschlands Target-Forderungen ausgehöhlt, wenn nicht vernichtet“, warnte bereits 2018 der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn hinsichtlich des „Target-Risikos bei fortbestehendem Euro.
  • Beim Zerbrechen des Euros muss die Bundesbank diese Forderungen abschreiben.
  • Damit ist sie der weitaus größte Nettogläubiger des EZB-Systems, obwohl sie nur 26 Prozent des EZB-Kapitals hält.

Somit lässt sich diese Geschichte auf den Punkt bringen: 

  • Ende November 2024 betrugen die Target Salden für Deutschland rund 1066 Milliarden Euro (Forderungen der Bundesbank), also über eine eine Billion Euro,
  • die von Frankreich hingegen, -178 Milliarden Euro und die von Italien - 428 Milliarden Euro. 
  • D.h. würde Deutschland aus dem Euro aussteigen, würden sich über 1000 Milliarden Euro in Luft auflösen, hinzu kämen die Anlagen der deutschen Pensions- und Rentenfonds in Südeuropa, man spricht konservativ geschätzt von einem satten Drittel.
  • Deshalb sollte der Ausstieg aus dem Euro ein langfristiger Prozess sein, den man vorantreiben muss, ohne darüber zu reden
  • In den USA wäre sowas nicht möglich, da entfällt die Gruppenhaftung und ein Bundesstaat kann auch pleite gehen, sofern er seine Schulden nicht begleichen kann.
  • In Deutschland wird im Bedarfsfalle der Staatsbürger zur Kasse gebeten.

Nachfolgend ein Datenblatt - Forderungen der Bundesbank: Die monatlichen Targetsalden im Zeitraum Januar 2005 - Dezember 2024.
Im Dezember 2024 sind die deutschen Targetforderungen mit 1046 Mrd, praktisch identisch mit den aktuellen 1044 Mrd Ende September 2025.
Quelle: 
https://www.bundesbank.de/dynamic/action/de/statistiken/zeitreihen-datenbanken/zeitreihen-datenbank/723452/723452?treeAnchor=AUSSENWIRTSCHAFT&tsTab=0&statisticType=BBK_ITS&tsId=BBFI1.M.N.DE.4F.S121.S1.LE.A.FA.O.F2___T2.S._T.N.N&listId=www_s201_b12&dateSelect=2024



EZB-TARGET-Salden der teilnehmenden NZBen im Zeitraum 2010 - Ende 2024

An der Überschuldungslage der unten aufgeführten Länder hat sich 9 Monate später, so gut wie nichts geändert (siehe Tabelle oben)  - auf ein Grafik-Update wurde daher verzichtet
Quelle:  https://data.ecb.europa.eu/data/data-categories/ecbeurosystem-policy-and-exchange-rates/target-balances-participating-ncbs

Und nachfolgend 3 Grafiken mit Anmerkungen:
Grafik oben - Monatliche Target Salden (Forderung Bundesbank) im Zeitraum Januar 2010 - November 2024 - Anstieg über die Jahre konstant.
Grafik mitte - Monatliche Targetsalden Frankreich - Jan 2021 - Nov 2024: Beachtenswert der Absturz im April 2023
Grafik unten- Monatliche Targetsalden Italien - Jan 2021 - Nov 2024: Hier gibt es keinen Absturz - Italien ist Dauerschuldner und wird, wie soviele andere Länder, niemals seine Schulden begleichen wollen.




Und hier sind im Zeitraum 2010 - Nov 2024 sechs Schuldenländer zusammengefasst - um sich ein Bild über den Ablauf der Verschuldung zu machen.

Fazit:
​​​​​​​Das Target-System ist eine Falle, weil die Bundesbank nicht die Möglichkeit hat, ihre Target-Forderungen einzutreiben.
  • Die Forderungen entstanden, weil Güter oder Anlagewerte in andere Länder geflossen sind und von der Bundesbank im Auftrag ausländischer Käufer bezahlt wurden oder weil die Bundesbank im Auftrag ausländischer Schuldner Schulden bei deutschen Gläubigern getilgt hat.
  • Man hat die Bundesbank sozusagen für sich auslegen lassen und sie gebeten, den Betrag auf einem Verrechnungskonto zu verbuchen.
  • Dort werden die Forderungen mit dem Hauptrefinanzierungssatz (etwa 0,75 %) verzinst, der nicht einmal der Inflationsrate entspricht.
Die Bundesbank kann bei einem Zerbrechen des Eurosystems zwar versuchen, die Target-Forderungen gegenüber den Notenbanken der
anderen Länder zu erheben. Doch wird man dort tausend Gründe dafür finden, warum es für diese Forderungen keine Basis gibt.
  • Die Länder, die nicht im Defizit stehen, werden sich als nicht mehr zuständig erklären, und die Krisenländer werden ihre Target-Schulden als souveräne Schuldner annullieren.
  • Man wird Deutschland vorwerfen, den Untergang des Euro selbst provoziert zu haben, und ihm weiter vorhalten, dass es ja ohnehin der große Profiteur des Euro gewesen ist - auch die deutsche Vergangenheit, die mit (angeblicher) Schuld beladen ist, wird man bei Bedarf heranziehen.
  • Deutschland wird dem nicht viel entgegenzusetzen haben, zumal Bundesbank und Bundesregierung die Salden anfangs selbst zu bloßen Verrechnungsposten deklariert hatten  
  • Kurzum, die deutschen Forderungen sind bei einem Zusammenbruch des Euro uneinbringlich, und die Güter, Vermögensobjekte und Schuldscheine, die man hergegeben hat, werden auch nicht mehr zurückkommen


2.) Erläuterungen Hans-Werner Sinn zur Problematik der Targetsalden
   
https://www.hanswernersinn.de/de/themen/TargetSalden
Hans-Werner Sinn Nationalökonomie & Finanzwissenschaft: Ansprüche über eine Billion  Euro
die wir aus meiner persönlichen Sicht nie wiedersehen werden
Datenlage hier - August 2025 : Guthaben Deutschland bei rd. 1061 Mrd €

 
Ansprüche über eine Billion Euro die wir aus meiner persönlichen Sicht nie wiedersehen werden

  • Die Targetsalden Deutschlands und Italiens sind im September 2022 mit 1267 Mrd. Euro bzw. -715 Mrd. Euro auf ihr jeweiliges historisches Rekordniveau geklettert.
  • Das ist ein deutliches Zeichen für eine neuerliche Kapitalflucht aus Italien nach Deutschland, also den Austausch italienischer durch deutsche Vermögenstitel in den Portfolios der Kapitalanleger nebst der zugehörigen Geldüberweisungen von  Italien nach Deutschland.

Der Abfluss von Liquidität nach Deutschland würde tendenziell zum Austrocknen des Geldkreislaufs in Italien führen, wenn nicht die Banca d'Italia auf ihrem Hoheitsgebiet stets in ausreichendem Maße frisch geschaffenes Euro-Zentralbankgeld nachschießen würde, indem sie italienische Vermögenstitel erwirbt oder den italienischen Banken Kredite gewährt.

  • Diese Interventionen wurden ihr zuletzt wieder durch das TPI-Programm der EZB erleichtert.
  • Der Liquiditätsnachschub durch die Banca d'Italia verringert den ansonsten in Italien zu erwartenden Zinsanstieg, der die Kapitalflucht gebremst hätte.
  • Die Interventionen zur Begrenzung der Zinsspreads zwischen Deutschland und Italien erleichtern und befördern die Kapitalflucht, die durch den raschen Anstieg der Target-Salden gemessen werden.

Grundsätzlich messen Target-Salden Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen den nationalen Notenbanken, die sich im Laufe der Zeit durch unausgeglichene Euroüberweisungen zwischen den Ländern aufbauen.

  • Die jährlichen Änderungen der Salden messen die sogenannten Zahlungsbilanzsalden der jeweiligen Länder. (Zahlungsbilanzüberschuss = Leistungsbilanzüberschuss - privater und fiskalischer Kapitalexport).Ist die Zahlungsbilanz eines Euro-Landes negativ, schrumpft der Target-Saldo seiner Notenbank, ist sie positiv, steigt der Target-Saldo.

Target-Salden messen Kreditbeziehungen zwischen den nationalen Notenbanken und damit indirekt auch zwischen den Staaten der Eurozone, weil die Notenbank des überweisenden Landes für die mit den Überweisungen finanzierten Käufe keine zuvor erworbenen Kontobestände beim Eurosystem braucht, wie man es in Analogie zu den Überweisungen zwischen den Geschäftsbanken innerhalb eines Landes erwarten könnte. 

  • Negative Target-Salden eines Landes messen vom Eurosystem bezogene Überziehungskredite. Tatsächlich können Target-Salden unbegrenzt negativ werden, weil es für diese Überziehungskredite keine Grenzen gibt.
  • Die entsprechenden Target-Salden werden in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der Euroländer als Forderungen und Verbindlichkeiten bei der Berechnung des Nettoauslandsvermögens (Nettoauslandsposition) der jeweiligen Länder ausgewiesen.
  • Für Deutschland machen sie einen erheblichen Teil des Nettoauslandsvermögens aus, das zuvor durch deutsche Leistungsbilanzüberschüsse aufgebaut wurde.
  • Die Target-Salden werden über das Zinspooling-System des Eurosystems effektiv zu einem Satz verzinst, der einem Mittelwert der Politikzinssätze des Eurosystems entspricht.
  • Damit soll verhindert werden, dass sich die Verteilung der Zinseinnahmen zwischen den Notenbanken des Eurosystems durch Liquiditätsverschiebungen zwischen den Ländern ändert, wie sie durch die Target-Salden gemessen werden.
  • Siehe Hans-Werner Sinn, The Economics of Target Balances, Palgrave Macmillan, 2020.  Vgl. auch „Was bedeuten die Target-Salden?“, ifo Institut, 15. Januar 2019.



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